Historie JVA.

Haller Gefängnis war Musteranstalt

Seit 160 Jahren prägt das im Volksmund „Kocherhotel“ bezeichnete Gefängnis am Froschgraben das Stadtbild von Schwäbisch Hall. Mit dem bevorstehenden Bau des Kocherquartiers wird ein Teil der Bauten verschwinden, der Rest völlig neue Funktionen erhalten – Anlass für einen Blick in die lange Geschichte des Bauwerks.

Bis heute wird die Anekdote erzählt, der württembergische König habe die Haller vor die Wahl zwischen einer Kaserne und einem Gefängnis gestellt, woraufhin sich diese für zweiteres entschieden hätten, da davon weniger Gefahr für die Tugend der Bürgertöchter ausginge. Tatsächlich gab es diese Wahl nicht. Als Wilhelm I. im Jahr 1839 die Einrichtung eines Gefängnisses verfügte, stand die Einführung eines neuen Strafgesetzbuchs und die daraus resultierende Reorganisierung des Strafvollzugswesens im Hintergrund. Als Sitz eines Oberamts (Vorläufer des Landkreises) bot sich die ehemalige Reichsstadt als Standort an. Hinzu kam, dass die Haller die Ansiedlung begrüßten und das Baugelände zur Verfügung stellten, weil sie auf eine Belebung des Gewerbes hofften. Provisorischer Standort der Einrichtung, die neben der Funktion eines Gefängnisses für den Jagstkreis (Vorläufer des Regierungsbezirks) eine „Strafanstalt für jugendliche Verbrecher“ aus ganz Württemberg umfassen sollte, war der ehemalige Marstall an der Salinenstraße, heute Sitz der Fachhochschule.
Der 1843 begonnene Neubau nahm – obwohl nur teilweise vollendet – bereits im Oktober 1846 seinen Betrieb auf. In seiner 1849 fertig gestellten Form bestand er aus einem zentralen Verwaltungsbau, rechts und links davon je einem Bau für Männer und Frauen und dahinter einem Gebäude für Jugendliche. Der völlig neue Entwurf ermöglichte ein modernes System der Kontrolle und Überwachung. Eine „strenge, gerechte und humane Behandlung“ zielte auf eine sittliche Besserung der Gefangenen. Sie erhielten Unterricht, außerdem sollten sie ein Handwerk erlernen können und sinnvoll beschäftigt werden. Hierfür entstanden mehrere Werkstätten, so eine Buchbinderei, eine Weberei, eine Schlosserei und eine Bäckerei. Bei den Haller Gewerbetreibenden stieß dies auf großes Missfallen, da man – statt einen Abnehmer für eigene Produkte zu bekommen – nun einen Konkurrenten hatte, der „wohlfeilere Preise machen kann“. Um 1850 war das Gefängnis mit 550 Häftlingen belegt, für deren Betreuung der Anstaltsleiter, zwei Geistliche, ein Wundarzt, zwei Lehrer, elf Aufseher und vier Aufseherinnen zuständig waren. Die Zuständigkeiten und Benennungen der Anstalt änderten sich immer wieder, bis sie ab 1871 als „Landesgefängnis“ firmierte (d.h. der „Einzugsbereich“ umfasste ganz Württemberg). Weibliche Häftlinge gab es bereits seit 1858 nicht mehr.

Der Jugendstrafvollzug verdient besondere Erwähnung, da hier engagierte Männer wie Eduard Jeitter, Anstaltsleiter seit 1860, eine pädagogisch orientierte Form des Strafvollzugs entwickelten, die „im Gefangenen nicht in erster Linie den Straftäter, sondern einen besserungsfähigen jungen Menschen sah“ (Johannes Meister). Das „Haller Modell“ fand in Fachkreisen große Beachtung und zog Besucher aus dem In- und Ausland an, sogar den König, der die Anstalt 1858 besichtigte. Mit der Verlegung nach Heilbronn endete 1876 der Jugendstrafvollzug in Hall vorläufig.

Als erste wichtige Erweiterung kam 1877 die Kleincomburg als „Filialanstalt“ für 60 bis 90 Gefangene hinzu. Sie dient noch heute dem „gelockerten Vollzug“. Später folgte das alte Amtsgerichtsgefängnis („Blockhaus“) an der Unterlimpurger Straße als Freigängerheim. Es wurde 1986 abgerissen und durch einen Neubau in der Nähe ersetzt. Das Gefängnis selbst erweiterte man 1898/99 um den dreigeschossigen Zellentrakt unterhalb des Badtörles. In den Jahren 1928 bis 1931 folgte eine umfassende Modernisierung und Erweiterung der gesamten Anlage, bei der die bestehenden Bauten zum Teil erweitert und aufgestockt wurden. U.a. erhielt der Zellentrakt seinen sechsstöckigen Turm, zur Gelbinger Gasse hin entstand ein Neubau, der u.a. Küchen, Bäder und ein Krankenrevier enthielt.

Die Geschichte der Justizvollzugsanstalt während des Nationalsozialismus ist bislang kaum erforscht. Ein Häftling dieser Zeit war der Alchemist Franz Tausend (1884-1942). Der aus Krumbach (Bayern) stammende, notorische Hochstapler hatte in den 1920er Jahren im völkisch-nationalsozialistischen Milieu um den Weltkriegsgeneral und Hitlerförderer Ludendorff Investoren für seine bizarren Projekte zur Goldherstellung gefunden und soll später in einem geheimen Labor in Berlin für SS-Chef Heinrich Himmler gearbeitet haben. Die letzte von zahlreichen Verurteilungen als Betrüger brachte ihn nach Schwäbisch Hall, wo er 1942 starb. Im Sommer 1944 hielt das NS-Regime in Hall 24 französische Widerstandskämpfer gefangen, die im Zusammenhang mit der sogenannten „Nacht und Nebel“-Aktion heimlich nach Deutschland verschleppt worden waren. Sie wurden am 21. August 1944 in Heilbronn erschossen. Die „normalen“ Häftlinge zog man gegen Ende des Kriegs als Arbeitskräfte für die nach Schwäbisch Hall verlagerten Rüstungsbetriebe heran.

Die Besetzung Schwäbisch Halls durch die US-Armee am 17. April 1945 brachte nicht nur Opfern des NS-Regimes die Freiheit, sondern auch kriminellen Häftlingen, die sich erfolgreich als politische Gefangene ausgegeben hatten. Die US-Armee beschlagnahmte das Gefängnis und nutzte es zur Inhaftierung von Zivilisten mit NS-Vergangenheit, Kriegsgefangenen und mutmaßlichen Kriegsverbrechern. Später wurden hier auch straffällige "Displaced Persons" (v.a. befreite Zwangsarbeiter) festgehalten. Nach der Rückgabe an die deutsche Verwaltung diente das Gefängnis ab 1948 erst als Zuchthaus, dann als Landesgefängnis, bis 1952 schließlich die Umwandlung in die Jugendstrafanstalt des Landes Baden-Württemberg erfolgte. Die hohe Belegung mit zwischen 500 und 600 Gefangenen erschwerte eine pädagogische Arbeit mit den Gefangenen massiv, bis die Inbetriebnahme der Jugendstrafanstalt Adelsheim 1974 eine Entlastung bewirkte. Das nun umgesetzte, fortschrittliche Konzept mit Ausbildungsbetrieben, Wohngruppen und pädagogischen Gruppen verschiedener Art machte die Haller Anstalt erneut zu einem weithin bekannten Modell. 1996 endete schließlich die Zeit des Jugendstrafvollzugs in Schwäbisch Hall, das Gefängnis wurde nun auch mit Erwachsenen belegt. Die rückläufige Zahl der Häftlinge im Jugendvollzug und die stark steigenden Zahlen bei den Erwachsenen machten diese Umstrukturierung notwendig.

Eine Aufgabe des alten Standorts wegen Sicherheitsmängeln und fehlender Wirtschaftlichkeit war bereits 1961 gefordert worden. Bei der Stadt stieß die Möglichkeit, das städtebaulich wertvolle Gelände zu übernehmen, auf größtes Interesse. Umplanungen, Korrekturen und Finanzprobleme verzögerten die Angelegenheit erheblich, ein 1982 beendeter Architekturwettbewerb änderte ebenso wenig wie ein 1986 abgeschlossener Tauschvertrag. Die Stadt trat darin das Neubaugelände in der Stadtheide ab, bezahlte 7,35 Mio. DM (3,76 Mio. €) und erhielt dafür vom Land das gesamte Gefängnisareal zugesprochen – bei Abschluss des Neubaus. Dieser ließ jedoch weiter auf sich warten. Nach einem zwischenzeitlichen Planungsstop aus Finanzgründen (1992) begann der Bau 1995 und wurde 1998 beendet. Als die Justizvollzugsanstalt in den 74 Mio. DM (37,9 Mio. €) teuren Neubau in der Stadtheide zog, befanden sich hier, auf der Kleincomburg und im Freigängerheim etwa 350 Gefangene. Der Platzmangel in den Haftanstalten führte dazu, dass das Land einen Teil des Altbaus zurückmietete und noch einige Zeit mit Häftlingen belegte. Nachdem erste Planungen für das Areal 2002 an der städtischen Finanzkrise und dem Fehlen eines Investors scheiterten, beginnen nun die Abriss- und Bauarbeiten. Angesichts der wichtigen Rolle, die das Gefängnis für die Geschichte Schwäbisch Halls im 19. und 20. Jahrhundert gespielt hat, kann nur begrüßt werden, dass der denkmalgeschützte Ursprungsbau in neuer Funktion weitgehend erhalten geblieben ist und so das neu entstandene  Kocherquartier mit prägt.